Partners In Crime

Hoffentlich spielen sie noch unseren Song.

Der Magnet ist voll, alles schwitzt, vor der Bühne bildet sich allmählich das, was später einmal ein Circle Pit werden könnte. Frau Wedding und ich stehen nahe der Bühne, dicht an die Wand gedrängt und saugen die Stimmung auf. Beim Aufsaugen der Stimmung versuchen wir so wenig wie möglich unseren Geruchssinn zu gebrauchen. Nachdem Bane gespielt hatten, ist es enger geworden. Die Möglichkeit zu Körperkontakt ist gegeben bis unausweichlich. Wir haben es auf das Podest am Rand geschafft und stehen ein wenig über der Menge. Eine Perspektive, die für uns kleine Personen ungewöhnlich, wie wir finden, jedoch höchst angemessen ist. Schließlich sind wir langsam so alt, dass wir bei jedem Konzert zuerst einmal nach jemandem Ausschau halten, der wenigstens älter aussieht als wir. Heute läuft alles blendend. Frau Weddings Verflossener, Herr Hardcore, ist anwesend und neben ihm strahlen wir noch mehr Dynamik und Frische aus, als wir ohnehin schon tun. Comeback Kid kommen langsam in Fahrt und vor uns versucht ein Mädchen sich den üblichen Schubsereien anzuschließen. Sie wirkt dabei wie Cinderella, die den Hulk aus dem Weg schieben möchte. Wir gucken uns alle drei an und schmunzeln. Nicht abwertend. Sie ist hier, hört unsere Musik und zollt, wie Herr Hardcore sagen würde, der Band Respekt. Es sieht nur sehr süß aus. Das Schönste an solchen Konzerten, da sind Frau Wedding und ich uns einig, ist das Publikum. Meist ist es wie die Herde zu der man gehört und in der man sich wohl fühlt. Das war immer so, das wird wohl auch immer so bleiben.

Unser erstes Date hatten Frau Wedding und ich an Halloween vor vielen Jahren. Wir wollten Killswitch Engage im So36 sehen. Davor hatten wir geplant Rosemary’s Baby zu gucken und Kürbissuppe zu essen.

Klingt gruselig.

War es auch.

Wir haben so viel Suppe gegessen, dass wir uns wie Mia Farrow fühlten, die die Brut des Teufels austrägt. Trotz Bauchschmerzen und mit Hilfe von viel Verdauungstee, sind wir dennoch zu Killswitch Engage gegangen. Es war der spektakuläre Auftakt unserer Freundschaft und wir sind seitdem stets bemüht die Spektakularität aufrecht zu erhalten.

Wir sind viel Achterbahn gefahren. Die Momente, in denen wir kreischend die Arme in die Luft gerissen haben, weil wir ganz oben waren, sind interessanterweise die, in denen wir oft miteinander gehadert haben. Besonders erwähnenswert ist unser Billigflug-Abenteuer nach Irland. Von Berlin nach Frankfurt/Hahn im Schnee mit zugefrorenen Scheibenwischer-Flüssigkeitsdüsen, Youth Hosteln in Kerry und dem wahnsinnig durchdachten Unterfangen im Februar von Killarney nach Sneem zu laufen. Selten haben wir mehr diskutiert. Wer fragt nach dem Weg? Wer versucht ein Auto anzuhalten, damit wir nicht in den Bergen erfrieren? Wie war das nochmal mit den Schachregeln?

Am Ende des Wir-wandern-durch-die-Berge-Tages haben wir gemeinsam unsere bis dahin anhaltende Alkohol-Abstinenz beendet, sind unangeschnallt mit einem zugekifften Mann umher gefahren, der Magic hieß und haben mehrmals höchst spirituell unsere Aura reinigen lassen. Letzteres war eher wildes, mit Räucherstäbchen um uns Herumwedeln, aber so eine Auren-Reinigung schlägt man nicht einfach aus.

Am Ende der Reise hatten wir begriffen, dass man manchmal einfach beide Augen zudrücken muss.

Die Täler waren geprägt von unüberlegt gewählten Wegbegleitern, temporären Wesenszug-Änderungen und gelegentliche Meinungsverschiedenheiten. Aus den Tälern haben wir gelernt. Wir sind gewachsen.

Innerlich.

Körperlich ist bei Frau Wedding, die einst von einem Türsteher gefragt wurde, ob ihr jemand mit der Latte auf den Kopf gehauen hätte, nichts mehr zu machen.

Die schönsten Phasen sind die, in denen wir zwischen Tal und Top sind. Die Phasen in denen wir aktuell als attraktiv eingestufte Männer analysieren und nebenbei argumentieren, warum wir eben diese Männer in keinem Fall ansprechen sollten. Frau Wedding hat auf dem Gebiet kaum Progression gemacht. Pseudo-Elvis – ja, Pseudo-Elvis – ihr damals liebstes Observierungsobjekt, kreuzte neulich ihren Weg. Rekonstruiere ich anhand empfangener Nachrichten aus dieser Nacht das Geschehen, so plante Frau Wedding ernsthaft den mit der Weile ergrauten Mann nach 14 Jahren anzusprechen und ging dann mit endloser Lässigkeit an ihm vorbei zur Toilette. Manche Dinge ändern sich nie. Ähnliche Geschichten gäbe es auch über mich und den T-Shirt-Mann zu berichten, doch mir schwebt an dieser Stelle eher ein exemplarisches Vorgehen vor.

Natürlich reden wir nicht nur über Männer, sondern beschäftigen uns auch mit Dingen, wie dem Wechseln von Winterreifen. Hier können wir ebenfalls auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Nein, es ist ungünstig die Reifen einfach die Treppen runterrollen zu lassen, anstatt sie zu tragen. Wir gehen im Winter mit fremden Hunden ins Hunde-Auslaufgebiet, nicht ahnend, was eine fehlende Hundemarke und Eisschollen unter den Füßen bedeuten. Wir probieren uns im Kickboxen und wissen nun, wie man am besten beim Schubkarre-Machen schummelt. Wir verlieren mein Kind bei Ikea, weil wir zu beschäftigt sind Montage-Ideen auszutauschen. Wir gucken abends Filme. Korrektur: Ich gucke Filme, Frau Wedding schläft vor der Nennung des Titels ein. Wir gewähren Möbeln, die nicht mit in die Wohnung des neuen Partners ziehen dürfen, Unterschlupf und hoffen still, dass wir sie nie zurückgeben müssen. Wir tragen nachts Baupaletten durch die Gegend. Wir lachen uns bis heute über Jürgen von der Lippes ‚Rache‘ tot und tanzen gern beim Kochen zu den Beatles durch die Küche. Nicht abzustreiten ist jedoch, dass Männer, wie beispielsweise unsere momentanen Exemplare, Herr Grummel und Herr Geheimnisvoll, weiterhin enthusiastisch besprochen werden.

Über die Jahre musste unsere Achterbahn ab und zu gewartet werden. Manchmal sind wir dafür ausgestiegen. Wieder eingestiegen, wussten wir mehr über den anderen, haben gelernt Rücksicht zu nehmen, Egoismus flach zu halten und unsere Freundschaft wie ein kleines Blümchen zu pflegen. Unbezahlbar ist es, nach einem weiteren Beziehungsdebakel aufgefangen zu werden. Unbeschreiblich, wenn man erkennt, dass jemand bei dir bleibt, auch wenn du dich wie ein Idiot benommen hast und es dir nicht nachträgt. Erleichternd, wenn man einen Menschen gefunden hat, vor dem man seine Tränchen laufen lassen kann, ohne sich dabei nackt oder schwach zu fühlen.

Comeback Kid, die übrigens älter als wir zu sein scheinen, weigern sich bisher unseren Song zu spielen. Der Bass wumst durch den Körper, das Pit circled und die Luftfeuchtigkeit erreicht tropische Ausmaße. Ich bedaure sehr, dass ich Herrn Hardcores Angebot Wasser zu holen so leichtfertig ausgeschlagen habe. Auch wenn es noch nicht unser Song ist, die Musik reißt mit und ich merke, wie aus meinem sachlichen Kopfnicken leichtes Aus-den-Knien- Mitwippen wird. Mein Blick schweift von der Band zu den Menschen, die vor ihr feiern. Fühle mich wohl und genieße. Wie damals.

Final Prayer im Kato. Ich kannte weder Final Prayer noch hatte ich mitbekommen, dass man den Club in Binuu umbenannt hatte. Ich war irgendwie raus. Raus aus Weggehen, raus aus Konzerten und raus aus meinem alten Leben. Ich war Mama, alleinerziehend, unglücklich mit meiner momentanen, eher fragwürdigen Beziehung und nicht sicher wer ich war. Frau Wedding hatte die Karten besorgt, um mich meinem tristen Dasein zu entreißen. Es sollte der Tag werden, an dem ich morgens mit meinem baldigen Ex-Freund schlief, abends Besuch von meinem Jungspund-Lover bekam und vor dem Kato dem Mann, den ich eigentlich wollte, erklärte, dass ich nicht seinetwegen da war. Es sollte der Tag werden, an dem ich in einem Raum voller fremder Menschen endlich wieder Zuhause war. Selten habe ich einer Band so gerne zugehört, zu Songs getanzt, die ich nicht kannte und gehofft, dass die Jungs noch Stunden weiterspielen, umgeben von Kapuzen-Pullis, Chucks und dem Gefühl reinzupassen. Wie Mr. Small und Mr. Rich, zwei von uns sehr geschätzte Hardcore-Experten und Komplizen im Vernichten von Biervorräten, kürzlich feststellten: Hardcore ist halt doch mehr als nur Musik, es ist eine Lebenseinstellung.

Mr. Small sagt, für ihn sei es Musik, die vorneweg ansprechend ist und hinten raus auf soziale Missstände aufmerksam mache. Sich gegen herrschende Moralvorstellungen auflehnen, bringe Hardcore in aggressiver und deutlicher Weise musikalisch zum Ausdruck.

Mr. Rich fasst es mit Leidenschaft, Lifestyle und Liebe zusammen.

Beide stehen auf Hardcore, Bier und Fahrräder, nicht aber auf Final Prayer. Ich gestatte ihnen immer wieder großzügig ihre Meinung diesbezüglich zu äußern, aber ich habe mich damals verliebt. In eine mitreißende Band, eine vertraute Menge, in meine Freundin, die mich immer daran erinnern wird, was wir mal getan haben und wer ich mal gewesen bin.

Frau Wedding rammt mir den Ellenbogen in die Seite. Sanft, aber sachlich. Unser Song. Fast zeitgleich legen wir unsere altersgemäße Contenance ab, schieben die Arme nach vorne und Cinderella beiseite. Wir gegen die Welt. Wir tanzen. Wir nennen es tanzen, aber es ist wohl eher energisches Umherspringen unter Einbezug von Rhythmus. Wir haben Spaß. Wir können nicht mehr zurück zu dem, was wir mal waren. Da haben Comeback Kid schon Recht. Wir werden nie wieder sein, was wir mal waren. Wir werden nie wieder schüchtern in der Ecke eines Clubs stehen, Pseudo-Elvis oder den T-Shirt-Mann beobachten, nur um uns wegzuducken, wenn sie aus Versehen in unsere Richtung gucken. Wir werden nie wieder Mobiliar verkaufen, nur weil Männer es nicht in die gemeinsame Wohnung einziehen lassen wollen. Wir werden nie wieder 20 sein. Aber auch in 20 Jahren werden wir immer noch eins sein. Partners In Crime.

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2 Gedanken zu “Partners In Crime

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